Zur Not arbeitsloser Frauen und Männer in Deutschland 10 Jahre nach Hartz IV

Bundeskommission der Betriebsseelsorge
Zur Not arbeitsloser Frauen und Männer in Deutschland 10 Jahre nach Hartz IV
Die Not der Erwerbslosen war von Anfang an eine zentrale Sorge der Arbeitnehmer-pastoral. Die Massenarbeitslosigkeit steht derzeit nicht im Zentrum der öffentlichen Wahrnehmung und ist dennoch eine der größten gesellschaftspolitischen Herausforderungen.
In April 2015 wurden „nur“ 2.475.000 Personen als arbeitslos registriert. Insgesamt haben aber 5.152.000 Erwerbsfähige Lohnersatzleistungen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) III und SGB II erhalten. 6.141.000 Menschen, darunter ca. 1.656.000 Kinder unter 15, leben in 3.312.000 Bedarfsgemeinschaften von Hartz IV (= SGB II Leistungen). Nur rund 3% der Hartz IV Empfänger eines Monats im Jahr 2014 gingen im Folgemonat einer Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt nach. Hartz IV wird mit Chancenlosigkeit gleichgesetzt und ist zum Schimpfwort und Angstbegriff geworden.
In der Arbeitslosenpastoral stellen wir fest, was Hartz IV bedeutet:
Entwürdigung: Unser Rechtsstaat garantiert ein soziokulturelles Existenzminimum, das jedem aufgrund seiner Menschenwürde zuerkannt ist, unabhängig von Leistung, Klasse und Herkunft. Zugleich erleben wir täglich, wie entwürdigend und existentielle Not erzeugend die Sanktionsandrohungen sind, die mit fast jedem Brief der Jobcenter ausgesprochen werden und die im vergangenen Jahr ca. 1.000.000 Mal vollzogen wurden. Es gibt eine sehr kleine Minderheit, die das System missbraucht aber das Gros kämpft um Arbeit, Anerkennung und den Respekt in der Gesellschaft. Der Missbrauch im Steuerrecht ist ungleich schwerwiegender.
Bundeskommission der Betriebsseelsorge – Peter Hartlaub, Sprecher der Bundeskommission
Leiter der Betriebsseelsorge im Bistum Würzburg, Kilianshaus – Kürschnerhof 2
Tel. 0931/38665324 Mail Peter.Hartlaub@bistum-wuerzburg.de
Armut: – Oft schon ab dem 20. jeden Monats reichen die € 399,- des Regelsatzes von Hartz IV Empfänger/innen in der Regel nicht aus. Mit der Folge, dass z.B. Stromsperren wegen unbezahlten Rechnungen laufend zunehmen. Die Versorgung so vieler bedürftiger Menschen über die Lebensmittelausgaben der Tafeln ist zugleich ein Indiz für die unterlassene Hilfeleistung unseres Staates. Bettelarm und erniedrigt ist ein aufrechtes Gehen und Eintreten für das Not-wendige kaum zu leisten. Die Wohlfahrtsverbände fordern momentan eine Erhöhung des monatlichen Regelsatzes um mindestens €70,-. Das ist ein Anfang, obwohl damit die verfestigte Armut vieler Kinder sicherlich nicht ernsthaft angegangen werden kann. Von einer Grundsicherung die ein würdiges Leben mit gesellschaftlicher Teilhabe ermöglicht sind wir noch weit entfernt.
Vereinsamung: – Der Verlust der Arbeit führt häufig in die Einsamkeit. Die Arbeits-kollegen/innen und der strukturierte Alltag sind weg. In unserer Arbeitsgesellschaft wird Arbeitslosigkeit meistens als Stigma empfunden. Wir definieren uns sehr stark über die Erwerbsarbeit. Sinn- und Perspektivenlosigkeit führen nicht selten zu Einsamkeit gepaart mit Schuldgefühlen, diesen Zustand selbst verantworten zu müssen. Vereinsamt in einer abgeschnittenen Parallelwelt – der Zugang zu Langzeitarbeitslosen ist in der Regel sehr schwierig. Das Zusammenführen in unterstützende Gruppen ist eine große Heraus-forderung. Es gelingt selten Menschen im SGB II Bezug zu motivieren sich öffentlich zu äußern und für Ihre Anliegen einzutreten.
Angst und Scham: – Briefe von den Ämtern lösen Panik aus, auf Vorladungen wird mit Krankmeldungen reagiert und bundesweit wird von den Arbeitslosenberatungsstellen eine Begleitung bei Besuchen der Jobcenter empfohlen. Die Vorurteile gegenüber Langzeitarbeitslosen verstärken sich. Eine negativ veränderte Einstellung in Politik und Gesellschaft wird deutlich spürbar. Der Ausbau von Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten – seit 2011 muss jeder Jobcenter einen eigenen Außendienst führen – sowie der fortschreitende Abbau von Leistungen zur Wiedereingliederung in den letzten 10 Jahre machen deutlich, dass die „Leistungsempfänger/innen“ für ihre Situation selbst verantwortlich gemacht werden. „Es gibt doch genug Arbeit, die wollen doch nicht arbeiten, die müssten sich schämen!“ Leider müssen wir diese wachsenden Vorurteile auch bei religiös geprägten Menschen feststellen.
Bundeskommission der Betriebsseelsorge – Peter Hartlaub, Sprecher der Bundeskommission
Leiter der Betriebsseelsorge im Bistum Würzburg, Kilianshaus – Kürschnerhof 2
Tel. 0931/38665324 Mail Peter.Hartlaub@bistum-wuerzburg.de
Die Individualisierung der Verantwortung für die Arbeitslosigkeit hat stark zugenommen. Ein weiterer Skandal ist, dass trotz der vielen fehlerhaften Bescheide ein ordentlicher Widerspruch die drohenden Sanktionen nicht aufschiebt. Die Hartz IV Empfänger/innen haben selbst keinen Einfluss in der Gestaltung oder Kontrolle der Jobcenter. Sie sind mehr Objekte der staatlichen Versorgung. Wir können es staatlichem Paternalismus nennen, eine Entmündigung der Betroffenen. Hartz IV ist zu einer Grund-Verunsicherung geworden.
Konsequenzen:
Der Mensch mit seiner Würde muss wieder in den Mittelpunkt gestellt werden und zwar sowohl in den verwaltungstechnischen Abläufen der Ämter, als auch bei der Bemessung der Leistungen und der Ausgestaltung der Fördermaßnahmen. Entsprechende Finanzierung und entsprechendes Personal müssen natürlich zur Verfügung gestellt werden. Auf ‚Fordern‘ als paternalistischer Konzept ist zu verzichten und ein sofortiges Moratorium von Sanktionen ist durchzuführen. Nur kann sich Vertrauen wieder in der Arbeitsverwaltung entstehen. Dann werden arbeitslose Menschen sich nicht mehr als die „Abgehängten“ fühlen. Dann werden wir an ihre Lebenssituation eine andere Menschlichkeit in der Bundesdeutschen Gesellschaft ablesen können.
„Es gibt keine schlimmere materielle Armut als die, sich das tägliche Brot nicht zu verdienen und der Würde der Arbeit beraubt zu sein.“ Papst Franziskus
Resolution der Betriebsseelsorge der katholischen Kirche einstimmig beschlossen auf der Bundesfachtagung der Betriebsseelsorge am 21.05.2015 in Bamberg

Bundeskommission der Betriebsseelsorge – Peter Hartlaub, Sprecher der Bundeskommission
Leiter der Betriebsseelsorge im Bistum Würzburg, Kilianshaus – Kürschnerhof 2
Tel. 0931/38665324 Mail Peter.Hartlaub@bistum-wuerzburg.de