Ein Beitrag von Olena Tutova vom 18.10.2024

Aktionswoche „Aktionswoche Baden-Württemberg „Armut bedroht immer noch alle!“

Thema des „Landespolitisches Gespräches“: 20 Jahre Aktionswoche – ihre Bedeutung für die Armutsbekämpfung in Baden-Württemberg – Konsequenzen für Zivilgesellschaft und Landespolitik

 

            Das Thema dieser Aktionswoche Baden-Württemberg „Armut bedroht immer noch alle!“ liegt mir besonders am Herzen.

            Mein Name ist Olena Tutova. Ich bin in Kiew, der Hauptstadt der Ukraine, geboren. Dort habe ich mein ganzes Leben in Frieden und Glück verbracht. Meine Mutter war Ukrainerin. Mein Vater war Russe. Ukrainisch und Russisch sind beide meine Muttersprachen. Aber wegen Russlands Angriff auf die Ukraine musste ich meine Heimat verlassen.

            Am 24. Februar 2022 in der Nacht bin ich von zwei dumpfen  Geräuschen aufgeweckt worden. „Vielleicht sind das Explosionen. Der Krieg begann“ – habe ich gedacht. „Aber nein, das kann nicht sein. Es wäre totaler Wahnsinn“ – war mein zweiter vernünftiger Gedanke. Aber der Krieg hat nichts vernünftiges an sich. Der Krieg ist nur Grausamkeit, Furcht und Elend. Und Endloser Wahnsinn.

            Sofort habe ich die Entscheidung getroffen, zu fliehen. Ich erinnerte mich an Aleppo und an anderen leidgeprüften Städten, wo die Zivilisten gnadenlos getötet und die Krankenhäuser bombardiert wurden. Ich hatte keinen Zweifel daran, dass sich dieselben Gräueltaten sehr bald in meiner Heimat wiederholen würden.

            Inzwischen hat sich alles auf einmal verändert. Das friedliche Leben wich dem Kriegszustand. An jenen Tag habe ich zweimal die Luftangriffssirene gehört und mich im Luftschutzraum versteckt. Das erste Versteck war die U-Bahnstation. Als ich auf der Straße war, hörte ich einen lauten und sehr unangenehmen Ton wie von einem Notarzt oder Polizeiwagen. Aber es war mir nicht bewusst, dass es eine Luftangriffssirene war. Die andere Menschen auf der Straße erklärten mir das. Nach zwei Stunden gab es erneut Luftalarm. Dann haben meine Nachbarn und ich uns in der Tiefgarage versteckt. Dieser schrille Ton löste die Visionen von den feindlichen  Kampfflieger in der Luft sowie Panzern auf unseren Straßen aus. Zumindest hatte ich das Gefühl, dass Gefahr aus allen Richtungen drohte.

            Ich hatte Riesenglück, dass ich mit dem Evakuierungszug zuerst nach Westen der Ukraine fahren konnte und anschließend nach Polen floh.

            Die letzten 15 Kilometer bis zur Ukrainisch-Polnischen Grenze musste ich zu Fuß gehen, da sehr viele Menschen über die Grenze wollten. Die Autos standen im längsten Stau, den ich jemals gesehen habe. Die Menge der Frauen mit Kindern, mit Haustieren, mit Koffern zog sich nach dem Westen. Wir liefen an zerbrochenen Koffern vorbei. Wie in einem Film über den Krieg. Nur der überraschender Angriff der feindlichen Bombern und Explosionen herum blieb aus. Die Realität erschien für uns gnädiger als die Filme zu sein.

            Danach bin ich gemeinsam mit Tausenden anderen Frauen hier nach Deutschland gekommen, um mein Leben und meine Existenz zu retten.

            Vom Anfang an war ich sehr viel beeindruckt, wie stark Zivilgesellschaft in Deutschland ist. Das habe ich gemerkt, als ich 2022 angefangen habe, als Übersetzerin zwischen geflüchteten Ukrainerinnen und ehrenamtlichen Helfern zu vermitteln. In Deutschland hat das Ehrenamt eine starke Tradition. Das gab es in der Ukraine nicht. Aber durch den Krieg ist ein starker Zusammenhalt entstanden und viele freiwillige Helfer sind im Einsatz und helfen den Menschen in ihrer Not. Ich wünsche mir, dass dieser Gemeinschaftssinn nach dem Krieg bewahrt wird.

            LAK Baden-Württemberg nimmt einen besonderen Platz im Bereich der Armutsbekämpfung. Die Tatsache, daß leider Armut noch hier existiert, sichtbar für Gesellschaft, Wissenschaft und Politikum zu machen ist eine Mission von großer Bedeutung und es ist wichtig für mich daran teilzunehmen. Am meisten stört mich verdeckte Armut, von der Betroffene nur selten in Privatgesprächen erwähnen. Zum Beispiel, eine Studentin der Uni Freiburg, wo ich eine Teilzeitstelle habe, beschwerte sich über die Unmöglichkeit manchmal alle nötigen Lebensmittel zu kaufen. Und ihr war es sehr peinlich, das zu gestehen. Es macht mich traurig, mir zu vorstellen, bei wie viel Studierenden die verdeckte Armut den akademischen Scheitern verursachte.

            Aber am meisten bekümmert mich, wenn Armutsbetroffene greifen einander an. Es führt nur zur weiteren Entwürdigung der Menschen, die bereits in der Lage sich befinden, wo sowieso nicht viel Platz für Würde und Selbstbewusstsein bleibt.

            Ich denke auch, es ist wichtig, die Verbindungen zwischen den deutschen und ukrainischen bürgerlichen Gesellschaften zu entwickeln. Es gibt viele Vereine und bürgerliche Initiativen hier in Deutschland. Ihre Erfahrung wird sehr nützlich bei der Wiederaufbau der Ukraine.