Bericht von der Veranstaltung des Runden Tisches am 15.06.2024 in Offenburg, Alevitisches Zentrum

Die Jenischen – Emanzipation einer marginalisierten Minderheit

  • Begegnung mit der Geschichte, Sprache und Kultur – der Jenischen

Der Runde Tisch Offenburg-Ortenau und die gemeinsame Veranstaltung der Jenischen am 15.06.2024

Im Rahmen des Projektes Runder Tisch Offenburg/Ortenau /#Bürgertisch von unten fand dieses Treffen am vergangenen Samstag statt. Treffpunkt war das Alevitische Gemeindezentrum. Im Saal der Aleviten wurde die Landesarmuts-konferenz Baden- Württemberg im März 2012 gegründet.

Die Moderation des Nachmittags lag bei Martti Zeyer, der dem Zentralrat der Jenischen angehört. Er war aus Köln angereist. Die Musikcombo Manou mit Mano Trapp begleitete musikalisch-künstlerisch die Veranstaltung.

Die Begrüssung der versammelten Runde machten Renaldo Schwarzenberger für den Zentralrat und Roland Saurer für das Projekt Runder Tisch Offenburg-Ortenau, das eine besondere Förderung des Landessozialministerium erreicht hat. Es gehört zu 9 niederschwelligen Projekten der Politischen Bildung  in Baden-Württemberg, die eine materielle Förderung des SM bis 2026 erhalten.

Geschichte, Sprache, Kultur und Verfolgung der Jenischen

Zu dem Themenfeld Geschichte, Sprache und Kultur der Jenischen gaben die Vertreter der Jenischen – Martii Zeyer, Robin Graf und Renaldo Schwarzenberger – eine Einführung. Zeyer verwies auf die Existenz von nationalen Minderheiten in Deutschland. Darunter nannte er Friesen, Dänen, Sorben, Sinti – Roma und Jenische. Anerkennung haben die Friesen, die Dänen, die Sorben, die Sinti-Roma erfahren, den Jenischen wird dies weiterhin verweigert. Graf verwies auf die weiter bestehenden Ausgrenzungen, auf den aktuellen Rassismus, der auch von Jenischen nicht Halt macht.

Robin Graf, ein Mitglied des Zentralrates der Jenischen sprach über die Begrifflichkeit „Jenisch“, die von den Jenischen geübte Selbstbezeichnungen, die Verbreitung der Jenischen Bevölkerung in verschiedenen europäischen Ländern, deren gemeinsamen Merkmale wie Herkunft, Geschichte, wirtschaftliche-handwerkliche Tätigkeiten, die gemeinsame Sprache, das gemeinsame Wertesystem.                                                                               

Renaldo Schwarzenberger vertiefte die geschichtlichen Aspekte am Beispiel der Verfolgung Jenischer im Nationalsozialismus 1933-1945. Er machte dies am Schicksal des Minderjährigen Erst Lossa fest. Dieser war als reifes Kind in die Vernichtungsmaschinerie der Nazis geraten. Die NS -Zeit, die durch Rassengesetze von 1935, von Verbot der fahrende Lebensweise 1938 und von den Deportationen ab dem Jahr 1942 geprägt war, gipfelte in der Vernichtung von nicht nur 6 Millionen Jüdinnen und Juden Europas, sondern auch in der Vernichtung von 500 Tausend Sinti und Roma, aber auch 10 Tausender Jenischer. Die tatsächlichen Opferzahlen sind grossteils im Dunkeln, sodass hier noch ein gewaltiges Klärungswerk ansteht. In der sogenannten Ahnenforschung des 3. Reiches spielte der Mediziner Dr. Ritter eine besondere führende Rolle. Sein Einfluss blieb auch nach 1945 weiter bestehen.

Das Überleben der Jenischen und Ihrer Kultur nach 1945

Die Jenischen, so Schwarzenberger, hatten im Reichsgebiet und im Nachkriegsdeutschland eigene Siedlungsgebiete, damit auch Sprachinseln, in Orten wie Schillingsfürst, Lützenhardt, Augsburg, Bellheim, Singen, Ichenhausen erhalten. Er nannte auch einige jenische Autoren und Romanciers. Ihre Sprache, die keinen eindeutigen Ursprung hat, gliedert sich in unterschiedliche Dialekte, die gewisse Berührungspunkte mit dem Jiddischen, mit dem Hebräischen, mit dem Rotwelsch haben.  Auch gäbe es im Jenischen für deutsche Begriffe bis zu 5 verschiedene Bezeichnungen. Die Jenische Sprache ist aber vielfach nur eine gesprochene Sprache gewesen, sie hat weitgehend auf Schriftformen verzichtet. Auch die Bilder der Jenischen sind vielfach unüblich gewesen, weil viel zu teuer und andererseits für Behörden ein mögliches Merkmal zu Erkennung von Jenischen. Deshalb verweigerten die Jenischen die Erfassung ihre Personen durch Bilder. Renaldo S. schloss ab mit der Frage der Entwicklung der Jenischen Kultur heute? Dies Frage ließ er offen, bewusst wahrscheinlich.

 

Das Jenische und seine Renaissance in Musik und Sprache

Die ersten Lieder der Musikcombo erfolgten in jenischer Sprache. Auf Jenisch ging Mano Trapp in weiteren Ausführungen nochmals intensiver ein. An seinen eigenen Erfahrungen machte er fest, wie schwierig es ist, eigene Identität zu finden. Er erlernte das Jenische von seinen eigenen Grosseltern. Er versucht das Jenische in der Musik und im Lied zu manifestieren, ihm einen dauerhaften Platz zu geben, eine Renaissance des Alt-Jenischen zu ermöglichen, die Tradition der früheren Generationen erneut aufzugreifen.                         

Die Gruppendiskussion als kultureller und sozialer Lernprozess

Der Moderator –  Martii Zeyer aus Köln – rief zu einer Austauschrunde verschiedene Personen auf die Bühne. Darunter Venanz Nobel aus Basel, Joachim Riffel aus dem Stegermatt, Benjamin Harter aus dem Stegermatt, Renaldo Schwarzenberger und Robin Graf. Ich einer kanpp einstündigen Runde wurden ganz unterschiedliche Fragen gestellt und auch weitgehend beantwortet. Darunter seien einige genannt:

  • Schaffung von Vertrauen der Jenischen gegenüber Dritten/Fremden,
  • Sozialisationserfahrung von Kindern und Jugendlichen in gemischten Quartieren aus Sinti-Roma und Jenischen,
  • Zusammenhalt und seine Prägungen, Gefahren der Ghettoisierung andererseits,
  • Ablehnung der Politik bzgl. der Anerkennung der Jenischen als eigener Volksgruppe,
  • Versuche, das politische Interesse zu organisieren und bis nach Berlin zu transportieren,
  • Schweizerische Erfahrungen mit der Geschichte der „Versklavung“ von Kindern und Jugendlichen bis 1973 durch Institutionen wie Pro Juventute, Beginn der Selbstorganisation der Jenischen 1975 – die Anerkennung der jenischen Sprache 1997 und die Anerkennung der Volksgruppe Jenischer 2016 durch den Schweizer Bundesrat,
  • die Erfahrungen als „Weisser Zigeuner“ in Deutschland,
  • der freiwillige Selbstausschluss, die Erfahrungen der gemeinsamen Kollektivität,
  • die Erfahrung der täglichen Ausgrenzung im Sport, in Vereinen, in der Schule, am Arbeitsplatz, in der Gewerbetätigkeit,
  • Überlegungen zur Rettung der Sprache, der Identität.
  • Die Suche nach der Vereinbarkeit von nationaler und ethnischer Nationalität,
  • Die mühselige Debatte um eine deutsche Leitkultur und das erneute Scheitern dieser Diskussion.

Die Rückmeldungen aus dem Publikum: Fragen und Anregungen

Nach den vielfältigen und sehr beeindruckenden Analysen und Rückmeldungen aus dieser Gesprächsgruppe öffnete der Moderator die Diskussionsrunde.  Aus dem Publikum ergaben sich Rückfragen und Kommentierungen:

  • Was wünschen sich die Jenischen für ihre nächste Generation?
  • Wie sieht die Heiratsordnung der Jenischen untereinander und mit anderen aus?
  • Weitere kulturelle Aspekte in der Forschung und Praxis um das jenische Erbe, seine Sprache und Kultur? Erweiterung des Kulturbegriffs!
  • Wo ist der Ort für die Erfahrungen der Gemeinsamkeit von allen Ausgegrenzten?
  • Jüdische-jenische Begegnungen in Geschichte und Gegenwart: ein gemeinsames Fest in Ichenhausen?
  • Transport des Jenischen nach Berlin – vom Rand ins Zentrum – ein jenischer Leiterwagen vor das Kanzleramt?
  • Was hat sich denn verändert in der Community der Jenischen und Sinti-Roma, am Beispiel des Uhlgraben/Stegermatt?
  • Warum ist in der Offenburger Lokalpresse in OT und BZ seit langen Jahren so wenig zu finden über die sozialen, die kulturellen Aspekte der Jenischen?
  • Wie lässt sich die Armutsgeschichte, die Sozialgeschichte der Sinti und Roma, der Jenischen auf die Diskussionsebene Land Baden-Württemberg bringen?
  • Wie kann man jenische Spuren in seiner eigenen Biographie finden und wie geht man damit kreativ um?
  • Wie lassen sich Erfahrungen von Ausgrenzung und Abschottung aus dem lokalen Zusammenhang Offenburg in das Konzept des Runden Tisches integrieren?
  • Wie lässt sich offensiv das Thema Jenische in die Lokalpolitik und in die lokale Berichterstattung einbauen?

Die Vision – die reale Utopie – des Venanz Nobel, Basel

Und ganz am Schluss – neben nochmaliger Musik der Combo Manou – sei der Verweis von Venanz Nobel aus dem Schweizerischen Basel genannt, der um ein Schlusswort gebeten wurde: „Das Ziel nicht aus den Augen verlieren. Ihr hier seid auf einem guten Weg. Dieser Weg wird euch zum Ziel führen, dem Ziel der Anerkennung als Volksgruppe in Deutschland.“

Roland Saurer, 16.06.24

Sprecher der lak-bw e. V.