Die weißen Tauben sind müde

Wenn eine Verteidigungstüchtigkeit Deutschlands angeblich nicht mehr ausreicht und „Kriegstüchtigkeit“ hergestellt werden soll – dann muss eine neue, große Friedensbewegung wachsen.

Von Heribert Prantl

Zu Friedensdemonstrationen heute kommen nicht Hunderttausende wie in den frühen 1980er-Jahren in Bonn und in vielen anderen deutschen und europäischen Städten. Es kommen nur, wenn es gut geht, ein paar Zehntausend Menschen. Am gestrigen Samstag waren nur ein paar Tausend Menschen vor dem Brandenburger Tor. Das hatte wohl auch den Grund, dass die Kundgebung dort zwei politisch sehr unterschiedliche Probleme zusammenpackte: den Krieg in der Ukraine und den Krieg in Gaza. Das kann nur schiefgehen.



Den Friedensdemonstranten heute fehlt die Anerkennung, die sie damals, in den 80er-Jahren, selbst bei ihren politischen Gegnern hatten. Vor vierzig Jahren, im November 1983, Helmut Kohl war seit einem Jahr Bundeskanzler, stimmte der Bundestag der Stationierung nuklearer US-Mittelstreckenraketen in der Bundesrepublik zu. Die Friedensbewegung unter dem Motto „Kampf dem Atomtod“ hatte in dieser Zeit Massenzulauf. Die nukleare Gefahr für Europa ist heute nicht kleiner als damals. Man darf davon ausgehen, dass Russland seit dem Überfall auf die Ukraine seine taktischen Atomwaffen auf Mitteleuropa gerichtet hat; und die USA lagern auch heute, wie damals, taktische Atomwaffen in Deutschland.

Friedensdemonstranten sind keine Feinde

Es ist angebracht, an den integren Liberalen Wolfgang Mischnick zu erinnern. Er war 23 Jahre Fraktionsvorsitzender der FDP im Bundestag, sowohl in der Zeit der sozialliberalen Koalition unter den Kanzlern Willy Brandt und Helmut Schmidt; als auch in der Koalition aus CDU/CSU und FDP unter Kanzler Kohl. Zwar kritisierte Mischnick damals die Kritiker des Nato-Doppelbeschlusses, die verkennen würden, dass zur Sicherung des Friedens nicht nur der Wille zum Frieden, sondern auch der „Wille zur Verteidigungsbereitschaft“ erforderlich sei. Aber dann setzte er fort: Dennoch dürfe man solche „Andersdenkende“ nicht wie Feinde behandeln.

Heute hingegen gibt es aufseiten derer, die Aufrüstung propagieren, kaum mehr eine Stimme, die hörbar mahnt, die Friedensdemonstranten zu respektieren. Rolf Mützenich, der SPD-Fraktionschef, denkt so – aber seine Stimme geht im breiten Strom der Kriegsertüchtiger unter. Die deutsche und europäische Politik krankt an der Absenz einer starken Friedensbewegung.

Es ist ungut, wenn Demonstranten, die vor einer Eskalation des Krieges in der Ukraine warnen, als „Putinversteher“ tituliert werden. Es ist ungut, wenn alle politischen Weichen nur auf militärisches Handeln gestellt werden. Es ist ungut, wenn die Frage, wann und wie ein Ausweg aus dem Kriegsgeschehen gefunden werden kann als Randfrage abgetan wird.

Es ist schade, wenn eine so seriöse Friedensinitiative wie die des Historikers Peter Brandt belächelt wird, weil sie feststellt, dass „der Schatten eines Atomkriegs“ über Europa liegt. Brandt fordert, „alles für einen schnellen Waffenstillstand zu tun, den russischen Angriffskrieg zu stoppen und den Weg zu Verhandlungen zu finden“. Das entspricht dem Friedensgebot, das in der Präambel des Grundgesetzes steht. Peter Brandt zitiert dazu einen schönen Satz seines Vaters Willy: „Es gilt sich gegen den Strom zu stellen, wenn dieser wieder einmal ein falsches Bett zu graben versucht.“

Es ist fatal, wenn Wörter wie „Kompromiss“, „Waffenstillstand“ und „Friedensverhandlungen“ als Sympathiekundgebungen für Putin gelten und so ausgesprochen werden, als wären sie vergiftet.

Nach der Friedensdemonstration gestern am Brandenburger Tor wird davon geredet, dass dort „die üblichen Verdächtigen“ aufgetreten seien. Warum sollen sie „verdächtig“ sein – im Gegensatz zu denen, die einen Mentalitätswechsel hin zur Kriegstüchtigkeit in Deutschland fordern? Wenn die Herstellung von Verteidigungstüchtigkeit nicht mehr reicht, sondern Kriegstüchtigkeit hergestellt werden soll – dann muss wirklich eine neue, große Friedensbewegung wachsen.


Diese Ansprache von Prantl sollte man sich merken. Er greift auf, was niemanden mehr interessiert in diesem Land. Die Herstellung von Kriegs- und Kampftüchtigkeit. Wenn es nach dem neuen Verteidiigungsminister Boris Pistorius gehen sollte. Er sollte sich Kriegsminister nennen, das würde besser zu ihm passen.
Die Soldaten an der Front der Ukraine sind erschöpft, sie haben ihr Pulver verschossen, die Depots mit Munition scheinen leer zu sein, die Panzer bewirken auch keine Wende in diesem Krieg. Russland zur Kapitulation zu bringen, die Gebiete der Ukraine sich wieder einzuverleiben, wird nicht gelingen. Also läuft das, was man auf Deutsch Zermürbungskrieg nennte. das was wir mit 8 Milliarden in 2024 zusätzlich aufrüsten. Es erinnert an den 1.Weltkrieg. 
Letzte Woche am 10.11.2023 waren wir auf dem Hartmannsweilerkopf/Vogesen mit unseren französischen Freunden, Kriegsschauplatz des Ersten Weltkrieges: 65 Tausend Tote Soldaten auf beiden Seiten. Versöhnung von Kanzler Kohl und Präsident Mitterand vor wenigen Jahren. Da reichte es einem sich vorzustellen in Europa herrscht Krieg.
 
Und hier im Land fehlen die Milliarden, um Klimawandel und gesellschaftliche Tansformation voranzubringen. Und die Kürzungsvorschläge der politischen Rechten (CDU/CSU/FDP/AFD) sind klar: Bürgergeld, KIndergrundsicherung, Rente – wahrscheinlich auch Angriff auf den Mindestlohn, die Tariftreue.
Dann nichts mit mehr Sozial-Wohnungen, nichts mit gesicherter Gesundheitsversorgung, nichts mit Bafög-Erhöhung. Nichts mit gesicherter qualifizierter Erziehung für alle an Kindertagesstätten, an Schulen in diesem Land. Weiter so mit der Altersarmut des SGB XII, primär der von alleinstehenden Frauen.
Gestern digital die ersten Überlegungen zur „Aktionswoche 2024 in Baden-Württemberg: 20 Jahre Armutsbekämpfung 2004-2024 – und kein Ende in Sicht. „
 
gez. Roland Saurer
Sprecher lak-bw