Gästebuch: Mit seiner Kandidatur für das Amt des Bundespräsidenten hat Sozialmediziner Gerhard Trabert im Februar für Schlagzeilen gesorgt. Was ihn mehr freut: Seine Anliegen, Armut und Ungleichheit zu beseitigen, sind dadurch in den Fokus gerückt. Jetzt war er in Kaiserslautern.
Von Benjamin Ginkel
„Also rein subjektiv hab’ ich seit der Bundespräsidentenwahl schon mehr An- und Nachfragen“, erzählt Professor Gerhard Trabert der RHEINPFALZ. Er habe das Gefühl, mit seiner Kandidatur zum Bundespräsidenten auf das Thema Armut aufmerksam gemacht haben zu können. Dass Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Thematik in seiner Antrittsrede aufgegriffen habe und es ein Kooperationsgespräch auf Schloss Bellevue Anfang März gab, sei eine gute Sache gewesen. Trabert: „Aber entscheidend ist, dass sich tatsächlich etwas ändert.“ Und da sehe er bei der Ampel-Regierungskoalition erhebliche Defizite. Eine einmalige 100-Euro-Zahlung für Hartz-IV-Bezieher, um die Kosten der Pandemie abzufedern, sei „ignorant“. Trabert: „Pro Monat müssten 100 Euro mehr gezahlt werden.“ Dieses Beispiel zeige, wie weit weg die Entscheidungsträger in Berlin von der Lebensrealität der Menschen sind.
Ganz anders Professor Trabert: Der Mainzer, Jahrgang 1956, engagiert sich seit Jahrzehnten im Kampf gegen Armut und ist für sein Engagement bereits vielfach ausgezeichnet worden – unter anderem 2004 mit dem Bundesverdienstkreuz. Trabert lehrt an der Hochschule RheinMain in Wiesbaden Sozialmedizin und Sozialpsychiatrie. Bekannt geworden ist er mit einer niedrigschwelligen medizinischen Versorgung von wohnungslosen Menschen in Mainz, wo er auch den Verein Armut und Gesellschaft in Deutschland aufgebaut hat.
In Kaiserslautern war Trabert nun am Mittwochabend in der Scheune des Theodor-Zink-Museums zu Gast, wo er gemeinsam mit Sozialaktivist Hans Sander, aus dem Buch „Solidarität in Zeiten von Corona und darüber hinaus“ las. Trabert: „Das war eine stimmige Veranstaltung mit Lesung, Musik und intensiver Diskussion.“ Unter den Zuhörern seien auch selbst von Armut Betroffene gewesen. Man habe schnell einen Draht zueinander gefunden.
Anders könne das sein, „wenn ich vom Lions Club oder den Rotariern eingeladen werde“. Da gebe es auch schon einmal andere Argumente – und Vorurteile. „Dass jeder, der arbeiten will, auch Arbeit findet, stimmt schlicht nicht“, sagt Trabert, „und bei den Themen Vermögens- und Einkommenssteuer gibt’s natürlich ebenfalls oft Gegenwind.“ Dennoch sei es ihm besonders wichtig, in allen sozialen Kreisen zu sprechen und zu versuchen, mit Argumenten zu sensibilisieren.
Dass Armut und deren Folgen bereits einige Wochen nach der Bundestagspräsidentenwahl wieder weitgehend aus den Medien verschwunden sind, „kann ich verstehen. Es gibt schließlich viel über den völkerrechtswidrigen Krieg in der Ukraine zu berichten“. Aber selbst, „wenn wir gerade die schmerzliche Erfahrung machen, dass man sich militärisch mehr ausstatten muss, um Gefahren von außen zu begegnen“, sei es ebenso wichtig, „die Gefahren von innen nicht zu ignorieren“. Er präzisiert: „Wenn wir jetzt nicht für arme Menschen da sind und ihnen helfen, dann verlieren wir sie möglicherweise für die Demokratie.“ Denn auch finanzielle Not mache Menschen empfänglicher für populistische Agitatoren. Das habe die Präsidentschaftswahl in Frankreich gerade gezeigt: „Marine Le Pen hatte den Verlust der Kaufkraft als Hauptthema im Wahlkampf und damit beträchtlichen Erfolg.“ Auch deswegen gelte es, etwas gegen die soziale Ungleichheit zu tun.
Als mögliche Sofortmaßnahmen nennt Trabert unter anderem die Erhöhung des Hartz-IV-Satzes auf gut 650 Euro, „damit eine Teilhabe an der Gesellschaft möglich ist“, die Einführung eines Mietendeckels und 13 Euro Mindestlohn. „Manchmal muss man das Unmögliche fordern, um das Mögliche zu erhalten“, sagt der Sozialmediziner, der sich außerdem für Bildungs- und Gendergerechtigkeit einsetzt.
Quelle: DIE RHEINPFALZ vom 28. April 22