Gemeinsame Erklärung „Wohnungspolitik ist zentrale Aufgabe der Landespolitik“

Für eine am Gemeinwohl orientierte Wohnungspolitik in Baden-Württemberg

Die Wohnungssituation in Baden-Württemberg spitzt sich zu. Immer mehr Haushalte können kein angemessenes und bezahlbares Wohnungsangebot finden. Die Neubauleistung hält mildern ständig wachsenden Wohnungsbedarf nicht Schritt. Die auf Grund der Empfehlungen der Wohnraum-Allianz verbesserten Landeswohnbauförderprogramme leicht steigenden Baufertigstellungszahlen rechtfertigen nicht, von einer Trendwende zu sprechen.

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Nach wie
vor deckt der jährliche Wohnungsneubau nur etwa die Hälfte des Bedarfs. Die in der
Prognos-Studie im Basisjahr 2015 festgestellte „Wohnungsbaulücke“ von 88.000
Wohnungen hat sich inzwischen mehr als verdoppelt.
Die jährliche Neubauleistung muss deutlich gesteigert werden, aber mit dem Schlagwort
„bauen – bauen – bauen“ kann die Wohnungsmisere nicht verbessert werden. Es kommt
darauf an, am richtigen Ort die richtigen Wohnungen zu erstellen. Bezahlbare Wohnungen
sind in den Ballungsräumen und Universitätsstädten zur absoluten Mangelware geworden.
Es gibt immer weniger mietpreis- und belegungsgebundene Wohnungen. Der
Sozialwohnungsbestand hat sich von 60.000 Wohnungen (2015) auf 55.309 Wohnungen
(2019) verringert. Der Neubau ist zwar auf durchschnittlich 600 neu gebaute
Sozialmietwohnungen pro Jahr angestiegen, bleibt aber weit hinter den in den 90er Jahren
erreichten 15.000 zurück. Er reicht auch nicht aus, um das Abschmelzen des
Sozialwohnungsbestandes aufzuhalten. Nach einer Untersuchung des Forschungsinstitutes
Pestel besteht in Baden-Württemberg ein Bedarf von 500.000 Sozialwohnungen. Inzwischen
kann nur noch jeder zehnte berechtigte Haushalt mit einer Sozialwohnung versorgt werden.
Die Landesmittel für die soziale Wohnraumförderung müssen deshalb kontinuierlich
aufgestockt werden. Um einen bedarfsgerechten Sozialwohnungsbestand zu erreichen,
muss es das Ziel baden-württembergischer Wohnungspolitik sein, in den nächsten
zwei Jahren jährlich 6.000 Sozialmietwohnungen mit langen Bindungsfristen neu zu
bauen. Mittelfristig sind jährlich 10.000 Sozialmietwohnungen zu errichten.
Für die Erreichung dieses Ziels benötigen wir baureife Flächen und Förderangebote sowie
eine Entbürokratisierung. Neben den bereits bestehenden 300 gemeinwohlorientierten
Wohnungs- und Immobilienunternehmen ist die Wiedergründung einer
Landeswohnraumgesellschaft sinnvoll, um Wohnbedarf zu decken, der nicht anders
sichergestellt werden kann.
Menschen mit Behinderung in jeder Altersgruppe benötigen barrierearme oder barrierefreie
Wohnungen, die ihnen eine gleichberechtigte und selbstbestimmte Teilhabe ermöglichen.
Nach der Prognos-Studie fehlten 2017 220.000 altersgerechte barrierefreie Wohnungen.
Angesichts der demografischen Entwicklung muss bis zum Jahr 2040 mit einer Erhöhung
des Fehlbestandes auf 500.000 Wohnungen gerechnet werden, sofern die Landespolitik
nicht verstärkt den barrierearmen Um- und Neubau einfordert und fördert.

Auch die optimale Nutzung schon bestehender Wohnungen ist Teile einer nachhaltigen
Wohnungspolitik. In Zeiten wachsenden Wohnungsmangels muss der Wohnungsbestand
erhalten und auch zu Wohnzwecken genutzt werden. Das Zweckentfremdungsverbot ist ein
ordnungspolitisches Instrument zur Bereitstellung von mehr bezahlbarem Wohnraum.
Leerstand oder die gewerbliche Nutzung von Wohnraum muss verhindert werden. Hierfür
muss das Landesgesetz zum Verbot von Wohnraumzweckentfremdung nachgeschärft
werden und insbesondere klarstellen, dass Wohnungen, die zum Zeitpunkt des Erlasses
einer kommunalen Satzung bereits leer standen, unter das Verbot fallen.
Durch Umwandlung von ehemals bezahlbaren Mietwohnungen in Eigentumswohnungen
werden viele Mieter mit kleinem Einkommen aus ihren angestammten Stadtteilen verdrängt.
Um weitere Segregation zu verhindern hatte der Wohngipfel der Bundesregierung eine
Erschwerung von Umwandlungen beschlossen und die Bundesregierung einen
Gesetzentwurf im Parlament eingebracht, der einen Genehmigungsvorbehalt durch die
Städte vorsieht. Eine Landesregierung sollte nicht weiter verhindern, dass Kommunen die
Umwandlung von Mietwohnungen im Interesse ihrer Bewohner steuern können.
In der Folge des wachsenden Wohnungsmangels explodieren die Mietpreise. So schnellten
beispielsweise die Mietpreise in Stuttgart in den letzten zehn Jahren um 45 Prozent in die
Höhe. Die durchschnittlichen Bruttomonatsverdienste steigen im gleichen Zeitraum nur um
28 Prozent an. In anderen Städten verlief die Entwicklung ähnlich. Der F+B-Mietspiegelindex
2019 weist aus, dass 16 der 30 deutschen Städte mit dem höchsten Mietenniveau in Baden-
Württemberg liegen. Für Immer mehr Haushalte wird Wohnen zu einem Armutsrisiko.
Damit sich auch Normalverdiener eine Wohnung in unseren Städten noch leisten können,
bedarf es eines besseren Schutzes der Mieter vor überzogenen Mietforderungen. Ein erster
Schritt hierzu war die Verbesserung der Mietpreisbremse und ihre leider viel zu späte
Ausweitung auf 89 Städte in Baden-Württemberg. Wegen ihrer vielen Ausnahmen wirkt sie
nur begrenzt und nur bei Neuvermietungen. In bestehenden Mietverhältnissen darf die Miete
um 5 bis 7 Prozent pro Jahr erhöht werden. Um auch Bestandsmieter vor Wohnarmut zu
schützen, sollt sich die baden-württembergische Landesregierung für eine Deckelung von
Mieterhöhungen auf die Inflationsrate einsetzen. Damit Mietpreisüberhöhung und
Mietpreiswucher wieder von den Ordnungsämtern sanktioniert werden kann, darf eine neue
Landesregierung die notwendige Reform des Wirtschaftsstrafgesetzes nicht weiterhin
blockieren.
Wohnen ist für jeden Menschen ein unverzichtbares Versorgungsgut. Die individuelle
Wohnungssituation entscheidet nicht nur über das individuelle Lebensglück und
Lebenschancen. Sie entscheidet auch über gesellschaftliche Teilhabe und den
Zusammenhalt unserer Gesellschaft. Deshalb muss eine gemeinwohlorientierte
Wohnungspolitik allen Menschen in Baden-Württemberg ermöglichen, in einer leistbaren und
passenden Wohnung zu leben. Dies ist in der