Am 9.September 2014 hat das BVerfG über den Vorlagebeschluss des SG Berlin vom 25.4.2012 entschieden.
Neben der schlechten Nachricht, dass das BVerfG SG Berlin nicht folgt, gibt es eine gute:
Es dürfte nun einen Anspruch auf einmalige Hilfen zB für die Anschaffung einer Waschmaschine oder eines Kühlschranks geben.
Das SG Berlin hatte entschieden, dass die neuen Regelbedarfe gegen die verfassungsrechtlichen Vorgaben, die im „Hartz-IV-Urteil“ des BVerfG vom 9.2.2010 (1 BvL 1/09) entwickelt wurden, verstößt. Denn das Statistikmodell der Bezifferung des Existenzminimums sei nicht konsequent umgesetzt. Das BVerfG hat die Brüche in der Umsetzung des Statistikmodells in seiner neuen Entscheidung kritisch diskutiert, kommt aber dennoch zum Ergebnis, dass diese Mängel noch – wohl: gerade noch – zulässig seien, weil der Gesetzgeber hier einen weiten Gestaltungsspielraum habe. Zu den wichtigsten Mängeln gehören u.a.:
– „Aufstocker“, also Personen, die ergänzend zu einem anderen Einkommen „Hartz IV“ beziehen, wurden nicht aus der Referenzgruppe herausgerechnet. Das sei, so das BVerfG, noch vertretbar.
– Personen, deren Einkommen unter dem Grundsicherungssatz liegt, – die sogenannte verdeckte Armut – wurden nicht herausgerechnet. Das soll nach dem Beschluss des BVerfG zulässig sein, weil man die Dunkelziffer der Armut schlecht ermitteln könne. Die Sozialwissenschaft sieht das anders: Die Untersuchungen von Ingrid Becker & Richard Hauser, nach denen die Dunkelziffer der Armut 70 % beträgt – auf 10 Menschen, die Grundsicherung beziehen, kommen 7, die weniger haben, aber trotzdem keine Leistungen bekommen – sind in der Sozialwissenschaft anerkannt.
– Das Statistikmodell wurde teilweise wieder durch Rückgriffe auf Elemente des Warenkorbmodells untergraben. Das BVerfG hat das erkannt und macht dazu kritische Anmerkungen, hält aber auch diese Inkonsequenz – die zu einer geringeren Leistungshöhe führt – noch für verfassungsgemäß.
Soweit man die Entscheidung anhand der ausführlichen Pressemitteilung des BVerfG vom 9.9.2014 bewerten kann (http://www.bverfg.de/pressemitteilungen/bvg14-076.html), zeigt sich das höchste deutsche Gericht einerseits durchaus unzufrieden mit dem deutlich erkennbaren Widerstand des Gesetzgebers der Hartz-IV-Reform von 2011 gegen die Vorgaben des Grundgesetzes. Andererseits will das BVerfG nicht mehr so weit gehen wie im Urteil vom 9.2.2010.
Während in diesem Urteil unmissverständlich entschieden wurde, dass die Höhe der Grundsicherungsleistung plausibel und nachvollziehbar ermittelt werden muss, formuliert das Gericht in seiner Pressemitteilung heute: „Die Vorgaben zur Fortschreibung der Regelbedarfe in den Jahren ohne Neuermittlung weichen nicht unvertretbar von den Strukturprinzipien der gewählten Ermittlungsmethode ab.“ An Stelle des klaren Postulats der Folgerichtigkeit der Methode zur Ermittlung des Regelsatzes aus dem Urteil vom 9.2.2010 tritt hier der im Vergleich dazu unverbindliche Verweis auf „Strukturprinzipien“ – ein Begriff, der in der Politik gerne als Nebelbombe verwendet wird –, die zu allem Überfluss nur mehr oder weniger einzuhalten sind. Bei allem Respekt für das BVerfG: Das überzeugt nicht und hinterlässt den Eindruck, dass die an anderer Stelle oft bewiesene Entschlossenheit des höchsten deutschen Gerichtes, dem Grundgesetz auch gegen starken Widerstand in der Politik Geltung zu
verschaffen, nicht ganz so ausgeprägt ist, wenn es um die sozialen Rechte derjenigen geht, die in der Gesellschaft am stärksten benachteiligt sind.
Ein kleiner Lichtblick ist, dass das BVerfG der Auffassung zu sein scheint, dass das SGB II in seiner aktuellen Fassung einen Anspruch auf einmalige Hilfen für größere Anschaffungen nicht ausschließe. In der Pressemitteilung heißt es dazu:
„Zudem muss eine Unterdeckung beim Bedarf an langlebigen Gütern (wie Kühlschrank oder Waschmaschine), für die derzeit nur ein geringer monatlicher Betrag eingestellt wird, durch die Sozialgerichte verhindert werden, indem sie die bestehenden Regelungen über einmalige Zuschüsse neben dem Regelbedarf verfassungskonform auslegen.“
Wie eine solche verfassungskonforme Auslegung aussehen kann, wird nun zu diskutieren und vor den Gerichten zu erproben sein.
Grüße aus Freiburg,
Roland Rosenow–