VertreterInnen der Landesarmutskonferenz, der freien Wohlfahrtspflege und der Volkshochschule Ba-Wü, sowie der Landtagsfraktionen trafen sich am 23.10.20 zum Abschluss der Aktionswoche Baden-Württemberg im Stuttgarter Landtag zum landespolitischen Gespräch
Die neun Thesen der lak-bw e.V. hierzu zum nachlesen:
Pierre Bourdieu: „Prekarität ist überall!“
Grenoble, 1997
- 1. Die Covid 19 Pandemie hat Gewinner – weltweit – nämlich die Konzerne
der globalen Digitalisierung, die Produzenten der Technolgie der vielen
Computer und smartphones, dem Ausbau der Technologie von
Breitbandkabeln und W-lan-Systemen. Des weiteren gehören zu den
Gewinnern die Konzerne der Pharmaindustrie. - 2. Die Covid-19 Pandemie hat viele Verlierer:
- Die Erkrankten, die verstorbenen Personen, die Menschen ohne
gesundheitlichen Schutz, d. h. jene die keine Krankenversicherung
haben, jene die bei uns in Deutschland sans papiers leben, jene die in
vielen Ländern dieser Welt keine funktionierenden Gesundheitssysteme
haben, jene die in absoluter Armut leben, die auf der Flucht sind, die sich
keinerlei elementare Versorgung rein materiell leisten können. ( Das
Fehlen von Obdach, Kleidung, Nahrung.)
Weitere Verlier sind jene, die weder Zugang noch Besitz von
Kommunikationssystemen haben, die die Kosten von Digitalisierung und
die laufende Teilhabe an der medialen Kommunikation nicht bezahlen
können, die über keinen gesicherten Zugang zu Energie verfügen. Keine
Steckdose ganz banal gesagt.
3. Die sozialen Gefahren der Pandemie und ihre Betroffenen kennen wir
zwischenzeitlich:
Geschäfte schliessen, Menschen werden entlassen, Menschen befinden
sich in befristeter Kurzarbeit. Die sozialen Proteste gegen Covid 19 –
Massnahmen nehmen zu, die Gesellschaft spaltet sich in einen
zunehmenden Teil von in Armut und Prekarität befindlichen Teil und in
einen immer reicher werden Teil von Millionären wie Milliardären. Was
auch auffällt, ist eine neue Kultur des Abstandes von 1, 5 Metern bis hin
zum isolierten Sterben in Krankenhäusern oder Pflegeeinrichtungen.
4. Was wir auch befürchten, ist eine zunehmende Kritik und Wut aus den
gesellschaftlichen Bereichen von Familien, Vereinigungen, Vereinen,Organisationen der Zivilgesellschaft, den Parteien, der Universitäten und
Bildungseinrichtungen bzgl. der voranschreitenden Aushöhlung von
Grundrechten: der Versammlungsfreiheit, des Rechts auf Soziale
Sicherheit, Bildung, Gesundheit bis hin zu Grundbedürfnissen eines
gesicherten bezahlbaren Wohnens.
5. „Der Sozialstaat ist die zentrale Instanz, die die Gesellschaft aber auch
unsere Wirtschaft zusammenhält.“ So heisst es in einer Erklärung der
SPD- Bundestagsfraktion vor wenigen Wochen. Da gibt es Überlegungen
durch Bürgergeld, bedingungsloses Grundeinkommen, erhöhte
Mindestlöhne die Zonen bisher verordneter staatlicher Armutspolitik zu
verlassen. Ein gutes Beispiel wäre die Durchsetzung einer
Kindergrundsicherung, die dem Verbleib von 2 Millionen Kindern in
Deutschland im Hartz IV System ein Ende machen würde.
6. Menschen in Erwerbslosigkeit, in Altersarmut, Menschen in
lebenslanger Armut sind sozial massiv gefährdet. Sie sterben früher,
erkranken häufiger, sind gesellschaftlich bis zu 3 mal weniger aktiv als
andere. Bei näherer Betrachtung der Coronaerkrankten fallen Menschen
zunehmend auf, die arm sind, die miserabel wohnen, die keine
Krankenversicherung haben, die zur Gruppe der Migranten sowie
farbigen Bevölkerung (zumindest in den USA) gehören.- 7. Was tun in Baden-Württemberg?
– Den Sozialstaat in Baden-Württemberg sichern, ihn erhalten und
ausbauen (aktuell wie präventiv). Ein Ende der neoliberalen Ideologie.
– Die Lebensqualität in den Zentren wie in den Regionen sozial sichern,
– Staat, Gesellschaft und Institutionen wie wir Bürger selbst müssen
eine erhöhte Sensibilität für die von Vulnerabilität bedrohten
Bevölkerungsgruppen entwickeln, z. b. für Menschen in Isolation, für
Menschen in Obdachlosigkeit, für Menschen in Wohnungsnot, für
Menschen auf der Flucht, für Menschen in psychischer wie
körperlicher Not.
– Es braucht Schutzräume für Menschen in Not, die seitens der
Kommunen zur Verfügung stehen müssen, die qualifiziert betreut
sind, die den medialen Zugang zu Hilfs- und Informationsquellen
ermöglichen. - – Es braucht nochmals eine gewaltige Anstrengung, dass niemand in
den kalten Jahreszeiten draussen auf der Strasse schlafen muss.
– Es braucht eine klare Entscheidung in BaWü, dass Familien mit
Kindern in guten Wohnungen untergebracht werden, wenn deren
Wohnungsverlust oder der Zustand der Obdachlosigkeit nicht zu
vermeiden ist. Vielleicht ist hier eine Landesvorgabe an die
Kommunen per Verordnung notwendig.
8. Neuer Gesellschaftsvertrag: Wir haben den 2-tägigen Kongress „Kinder-
und Familienarmut“ hinter uns. Wir befinden uns in der 17.
Aktionswoche 2020: „Armut bedroht alle“. In gewissem Sinne entsteht
aus den Erfahrungen dieser Tage ein Bedürfnis über einen „neuen
Gesellschaftsvertrag“ nachzudenken. Ein Prozess, der Grund und
Menschenrechte in unserem Bundesland stärkt, der die gesellschaftliche
Spaltung in Reich und Arm reduziert, der ökologische Ziele befördert. Der
für eine gerechte Welt eintritt, sodass die „Pandemie nicht zu einer
globalen Katastrophe“ ausartet, wie das Papst Franziskus dieser Tage
genannt hat.
9. Wir denken, der Landtag müsste nach 10 Jahren Armutsbekämpfung in
BaWü einen weiteren Impuls in der kommenden Legislaturperiode
setzen:- – Die Armutsbekämpfung in BaWü geht weiter! Konsequent und
nachhaltig, getragen von Land und Kommunen sowie der
Gesellschaft.
– Dieser Prozess braucht eine Steuerung: mittels eines gesicherten
Dialogs aus Politik, Landesregierung, Landtag, den Kommunen sowie
allen Partnern aus den sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen,
kirchlichen, gewerkschaftlichen, wissenschaftlichen wie
zivilgesellschaftlichen Feldern
– Diese Etablierung einer Steuerung braucht zumindest Vorgaben des
Landtages, Leitimpulse und zu definierende Ziele.
– Es müssen Aspekte einer individuellen wie kollektiven
Kapitalienbildung im Bereich der Ökologie, der Ökonomie, einem
nachhaltigen Konsum, Bildung, Kultur und sozialem
Zusammenleben, einer Verpflichtung gegenüber Grund- und
Menschenrechten aufgenommen werden.
Darüber lasst uns reden.
Doris Kölz
Lak-bw e.V.
23.10.2020