Landespressekonferenz Baden-Württemberg: Beitrag der LAK-BW e.V.

Zur Eröffnung der Aktionswoche Baden-Württemberg ‚Arme Kinder – arme Gesellschaaft‘ kam es am 16.10.20 zu einer themenbezogenen Landespressekonferenz im Haus des Landtags, Stuttgart.

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Hier der Beitrag der Landesarmutskonferenz Baden-Württemberg e.V. (Netzwerk I) zum nachlesen.

Meine Damen und Herren, liebe Aktive und Freunde!

Sie haben nun den Beitrag von Frau Jeziorski gehört. Sie spricht die Lebenslage von Kindern im Bereich Bildung/Schule/ Wohnen an.

Indirekt auch die soziale und materielle Situation einer offenkundigen Ungleichheit und Benachteiligung von Kindern aus Armutshaushalten, zumindest prekären Haushalten.

Haushalte, die charakterisiert sind von Mindereinkommen, Armut, mangelnden Ressourcen an sozialem wie kulturellem Kapital.

Wo der Zugang zum Arbeitsmarkt erschwert ist oder nicht vorliegt. Haushalte, deren Ressourcen sind unzureichend, um Krisen zu bewältigen oder gar Katastrophen im Leben zu steuern. Denken wir nur an jene 3000 Kinder und Jugendlichen, in BaWü, die zusammen mit ihren Eltern in kommunalen Notwohnungen ohne Mietvertrag untergebracht sind.

Ich denke, es ist an der Zeit nach 17 Jahren Aktionswoche oder Armutswoche – wie das viele heute noch nennen – einige grundsätzliche Anmerkungen zu diesen 17 Jahren zu machen,

Wir schreiben das Jahr 2004. Dieses Jahr war zum 1. Januar 2004 der Start eines neuen Gesundheitsgesetzes, das sogenannten SGB V. Neue Zustand bzw. Schikane war die Praxisgebühr: alle drei Monate beim Hausarzt und bei jedem weiteren Facharztbesuch in gleichen Quartal, egal ob beim Zahnarzt oder Kardiologen. Zudem massive Selbstbeteiligung bei Medikamenten und Zahnersatz, Kürzung oder Streichung von Härtefalllösungen.

Zudem ein Berg von neuen oder zu erwartenden Reformen unter dem Kennzeichen der politischen Agenda 2010: Streichung von Leistungen in Rente usw., sowie Reformen der Zuständigkeit von Bund und Ländern (Wohnungsbau bricht zusammen) und die grundsätzliche Entscheidung der Politik, weniger Staat, sondern Zunahme des privaten Risikos. – 2 –

Wir waren also voll in der „Risikogesellschaft und Globalisierung“ (Ulrich Beck) angekommen. Grundelemente der sozialen Sicherung , die den Sozialstaat Bundesrepublik ausgemacht haben, wurden ersetzt durch eine neue Politik der Liberalisierung des Marktes: Gesundheit zum Beispiel wird zur Ware, Wohnen wird zur Ware, Bildung wird zur Ware, die Ergebnisse kennen wir: Zunahme der Risiken und wachsende Ungleichheit und Spaltung der Gesellschaft.

So bis heute mit den langsam deutlich werdenden Auswirkungen der Pandemie auf Ökonomie, Gesundheit, Psyche, den Alltag der Menschen.

In dieser Bedrohungslage für Regionen und Menschen, schliessen sich in BaWü erstmals Initiativen der Betroffenen und Akteure der Wohlfahrtspflege sowie Gewerkschaft zusammen. Sie inszenieren am 12. 5. 2004 den ersten Landesweiten Aktionstag „Armut bedroht Alle!“ – „Aktionstag gegen Sozialabbau und Ausgrenzung „.

Ich zitiere aus dem Sonderheft der „Strassenzeitung Herbstwind“, Ortenau zum 12.5.2004:

Die Armen, die Ausgegrenzten, die Gefährdeten, die Kranken, die Behinderten sind in ihrer Existenz bedroht, die Wohlhabenden und Reichen in ihrem Lebensstil. Die übrig bleibende Mittelschicht wird wirtschaftlich und sozial zerrieben. Ergebnis: Dauerkrise und zunehmende gesellschaftliche Spaltung.“

Wolfgang Jeckel, der damalige Vorsitzenden der Landesvereinigung der Wohnungslosen in Baden Württemberg schreibt damals 2004 im gleichen Heft: „Wir haben diesen Aktionstag bereits im Januar 2004 in Stuttgart mit

vorgeschlagen: Wir haben uns beteiligt, weil wir gemeinsam mit den Profis in den Wohlfahrtsverbänden und mit Vertretern des Berufsverbandes was tun wollten. Wir sehen uns als Partner und nicht als Gegner…. „

In dieser Aktion im Jahr 2004 liegt ein Anfang von etwas Neuem:

  • Erstmal schliessen sich in Baden-Württemberg nach 2000 Initiativen, armutsbetroffene Menschen und Wohlfahrtsorganisationen zusammen, um gemeinsam Politik zu machen.

  • Diese Initiativen arbeiten seit diesem Jahr 2004 bis heute zusammen. Jedes Jahr erneut mit einem besonderen Schwerpunkt: z. B. Ausgrenzung, Lebenslage von Frauen in Armut, Renten, Bildung, Armut und Ungleichheit, Kinder- und Familienarmut……

  • Sie bereiten die Veränderung der BaWü- Sozialpolitik vor: Vom politischen Dämmerschlaf hin zur „Armuts- und Reichtumsberichterstattung für das Land BW“ ab dem Jahr 2011. Eine neue grün-rote Landesregierung eröffnet ein Fenster in die Zukunft.

  • Zivilgesellschaftliche Beteiligung wird in BW zur Normalität. Auch die Teilhabe der betroffenen Menschen in den sozialpolitischen Debatten wird normal. Es ist ein baden-württembergischer Sonderweg, den es in diesem Ausmaß in den anderen Bundesländern nicht gibt.

  • Behinderte Menschen, Menschen in prekären Lebenslagen, Menschen in Armut und Ausgrenzung bis hin zum Landesverband der Sintis in BaWü sind Partner der Ministerien und der Landesregierung. Sie bekommen eine eigene Stimme.

  • Das Landesparlament wacht über die formalen demokratischen Beteiligungen und ist an diesen Dialogen

beteiligt. So auch im Programm der Aktionswoche 2020 mit dem seit Jahren stattfindenden Landespolitischen Gespräch.

  • Wir sind als gemeinsame LAK-BW heute in 2020 in der Lage, die Sozialpolitik des Landes Baden-Württemberg zu beeinflussen. Wir verbinden diese immer mehr mit den Nachbarländern Baden-Württembergs und mit der deutschen wie europäischen Ebene.

  • Diesen Weg werden wir fortsetzen. Als nächstes gemeinsames Vorhaben der gemeinsamen LAK-BW ist die Publikation einer „Charta zur Landtagswahl“, die jetzt im März 2021 ansteht. Diese Charta geht neue Wege, indem sie den menschenrechtlichen Diskurs einfordert.

  • Zusammengefasst lässt sich feststellen: Der Weg von 2004 bis heute ist ein langer Weg, ein steiniger Weg gewesen, aber wir haben mit diesen jährlichen Aktionswochen um den Welttag der Armut, den 17. Oktober, ein Thema besetzt: „Armut bedroht Alle!“ Und dies nachhaltig und mit wachsendem Einfluss.

 

Roland Saurer

Sprecher lak-bw

6.10.20

Anlage; Entwurf Charta zur Landtagswahl 2021

 

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