Schlussreport der Landesarmutskonferenz-BW zum Bildungsprojekt mit VHS-Landesverband-BW und der Dualen Hochschule Stuttgart

Überlegungen und Rückmeldungen zu einem gemeinsamen Projekt in 2018/2019 der VHS Baden-Württemberg, der Dualen Hochschule Stuttgart und der Landesarmutskonferenz Baden- Württemberg

In einem gemeinsamen Projekt zur politischen Bildung haben wir einen interessanten Schritt vollzogen: heraus aus der Untätigkeit, hin zu einem gewagten Schritt, dass Volkshochschulen in Baden-Württemberg sich für die „Zielgruppe Menschen in prekären Lebenslagen“ öffnen. Eine bislang in den Volkshochschulen nicht zu findende Nutzergruppe, aber auch keine gesonderte Zielgruppe.

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Auf der Basis des Konzeptes von Dr. Michael Lesky (vom Dachverband der Volkshochschulen in Baden-Württemberg) erfolgte eine Förderung durch das Kultusministerium. Studierende der Sozialen Arbeit seitens der DH Stuttgart, Volkshochschulen, VertreterInnen der lak-bw und letztlich fünf Volkshochschulen in Baden-Württemberg sollten sich mit der Nichtbeteiligung von Menschen in prekären Lebenslagen an politischer Bildung sowie Bildung allgemein konfrontieren.

Nachdem die unterschiedlichen Rollen der Akteure in einer Serie von Vorberatungen 2018 geklärt waren, erfolgten die ersten Besprechungen vor Ort im Januar/Februar 2019 mit den interessierten Volkshochschulen Heidelberg, Pforzheim, Stuttgart, Herrenberg und Heidenheim.

Mit einem gewissen methodisch-inhaltlichen Fahrplan, den die Studierenden in Stuttgart (Seminar Prof. Rieger) entwickelt hatten, setzten sich die ausgesuchten lak-bw –VertreterInnen (in Kooperation mit Demokratiebegleitern der Neuen Arbeit Stgt.), die Vertreter der vhs-Zentrale in BaWü und die örtlichen Volkshochschulen jeweils gesondert zusammen. Dies gelang terminlich nur unter Nichtbeteiligung der Studierenden, da sich diese in den ersten drei Monaten in 2019 in ihren sozialen Praxisstellen befanden. So spürte man bereits im Einstieg, dass die örtlichen Volkshochschulen und die weiteren Beteiligten, dieses Projekt in den Zielen und Abläufen auf die örtlichen Interpretationen und Verhältnisse zuschnitten.

Die allermeisten Durchführungstermine, die sich die drei örtlichen Volkshochschulen aussuchten, lagen in der Phase April bis Juni 2019, also auch in der Zeit wo die Studierenden im regulären Semester sich befanden. Den einzelnen Standorten der vhs waren Studierende und Basisvertreter der lak-bw zugeteilt.

Zur Unterstützung und Werbezwecken produzierte die vhs bawü noch einen Flyer, der Für Interessierte einen gewissen Blickfang darstellen sollte.

Im Zeitraum Februar – April erfolgte die örtliche Acquise der vhs -Standorte bei potentiell Interessierten Kunden aus der sozialen Gruppierung der Prekarisierten vor Ort. Treffpunkte und Anbieter von Sozialen Diensten bzw. Dienstleistungen bis hin zu den Jobcentern der Arbeitsagenturen sollten mithelfen, Prekarisierte anzusprechen.

In allen 5 Standorten führte dies zu einem nur begrenzten Erfolg. Nach einer längereren Wartephase stellte sich dann heraus, dass Heidelberg und Herrenberg wohl nur gesichert zustande kommen werden, Stuttgart nur mit Schwierigkeiten und Pforzheim wie Heidenheim konnten keine Interessierten finden bzw. motivieren.

Wir hatten genau das, was wir im kritischen Fall annahmen. Die Menschen in prekären Lebenslagen hatten kein Interesse an den Angeboten bzw. sie haben keinerlei Vorstellungen, dass die Welt der Bildungsträger und ihre Inhalte für sie nutzbar wären.

Nur da wo sich gewisse face- to- face Beziehungen zuwischen niederschwelliger Sozialer Arbeit und Betroffenen ergaben bzw. entdeckt werden konnten, kam ein zahlenmässig bescheidener Kreis zwischen

2 – 6 Teilnehmern seitens sozial ausgegrenzter Personen zustande. Dem Grunde nach ein deutliches Zeichen, dass dieses Projekt mit der Lebenswirklichkeit der Menschen in Armut nichts zu tun hatte.

Auf Seiten der Landesarmutskonferenz/Demokratiebegleiter engagierten sich rund ein Dutzend Personen für die geplanten Standorte. Nachdem aber nur an 3 Standorten die geplanten Projekte durchgeführt werden konnten, hatte sich der Kreis der beteiligten Engagierten bei der lak-bw auch entsprechend verkleinert, so auch bei den Studierenden.

Die Treffen in den einzelnen Standorten – Heidelberg, Herrenberg und Stuttgart – verliefen inhaltlich so, dass die Interessen der wenigen Betroffenen maximal eigene unmittelbare, direkte Interessen waren, jedoch nicht Interessen, die was mit politischem Lernen bzw. sich engagieren im Engeren zu tun hatten. Maximal der thematische Part zu den „Angeboten der örtlichen VHS in der Zukunft“ fand einigermassen Zuspruch.

Nach den in der Regel drei Treffen in den einzelnen Standorten – verteilt auf mehrere Wochen – trafen sich die 3 Koordinatoren des Projektes (Rieger/Lesky/Saurer), um festzustellen

  • wie schwierig die Suche nach beteiligten interessierten NutzerInnen gewesen ist,

  • wie sich zwischen den Studierenden und den Basisvertretern die Zusammenarbeit weitgehend positiv entwickelte,

  • wie sich in den Volkshochschulen die Bereitschaft der MitarbeiterInnen zum offenen Miteinander positiv entwickelte,

  • jedoch von diesen Projekten nahezu keine weiteren Impulse (wie erhofft) ausgegangen sind,

  • in Herrenberg eine bleibende Offenheit für die prekären Zielgruppen besteht,

  • in Heidelberg mit einem ab Dezember 2019 für ein Jahr geförderten vhs-„Mutmachcafe“, Prekären eine neue Chance geben könnte.

Auch der weitere Austausch mit den schriftlich zurückgelassenen Eindrücken der Studierendengruppe, mit den mündlichen wie schriftlichen Impressionen der beteiligten Akteure aus der lak-bw, mit den Rückmeldungen der beteiligten Volkshochschulen Heidelberg, Stuttgart und Herrenberg wie auch eingeschränkt Heidenheim und Pforzheim veränderten an diesem Eindruck nichts.

Was bleibt aus diesem Projekt?

  1. Ein Projekt, das sich teils erfahrende oder auch sehr erfahrene Personen ausgedacht hatten. Personen, die geglaubt haben, dass sich Volkshochschulen so ohne weiteres eignen, zu einem Treffpunkt von Menschen in prekären Lebenslagen zu werden.

  2. Auf seiten der Vorbereitungsrunden sich keine Hinweise auf die spätere Verweigerung der Nachfrage ergeben haben.

  3. Die Rahmenbedingen und Austauschrunden mit den formal beteiligten Seiten sahen funktional noch ganz gut aus (Etatmittel, Ort und Zeit, Personen und ihr know how).

  4. Die Ferne bzw. gar die Erntfremdung der prekären Schichten bzgl. des Systems der Angebote der vhs ist eklatant. Die alltäglichen Herausforderungen eines Lebens in Armut und Deprivation, bindet derart viele emotionale und materielle Kräfte, dass für aktive Beteiligung an anderen Systemen, die einen lokal umgeben, nichts an Zeit und Aufmerksamkeit verbleibt.

  5. Ohne die unmittelbare Beziehung von Menschen und Personen zueinander geht nichts voran. Nur da, wo die direkte Erfahrung des anderen Menschen, der auf mich zugeht, der mich abholt, der mich fortgesetzt motiviert, der mich wertschätzt etc. finden neue Prozesse des Lernens in einer erweiterten Dimension statt.

  6. Dieser personale Bezug, diese Identifikation mit der Lebenslage der Betroffenen, mit einem hohen Mass an Sympathie, wird Veränderungen auslösen.

  7. So gesehen sind professionelle, niederschwellige Arbeitsformen und menschliche Haltungen die Grundvoraussetzungen; nächste weitere Schritte wären wahrscheinlich, offene Kommunikation und die Existenz offener Räume in Institutionen, die die Chance bieten würden, dass sich Milieus miteinander vermischen.

  8. Wir brauchen dem Grunde nach aufsuchend agierende Professionelle der Bildung/der Sozialen Arbeit, die die Menschen dort abholen wo sie leben, die sie in ihren Netzwerken kennenlernen, die dann aber auch Ressourcen an Räumen, Geld, Informationen, Technik, aber auch menschlicher Empathie und Nähe bieten, sodass Orte als Lernorte begriffen werden, weil sie einem gehören. Orte allein, die einem weder emotional bzw. noch faktisch gehören, lösen keine Bindungen aus.

  9. Im Umkehrschluss müssen die beteiligten Institutionen einräumen, dass sie von den Menschen in prekären Lebenslagen sehr weit weg sind; die sie nicht kennen, die sie nicht ansprechen, die sie nicht mal wahrnehmen.

  10. Insgesamt ein ernüchterndes Ergebnis, aber ein wahres, ein echtes, ein reales Ergebnis.

  11. Für die lak-bw aber auch ein ernüchterndes Ergebnis. Die Prekären sind von jeglichem Beteiligtsein noch sehr weit entfernt. Sie haben sich in einem sozialen Leben eingerichtet, das nichts an Veränderung auslöst. Das im wesentlichen das hinnimmt was das jeweilige System produziert. Im Positiven wie im Negativen. Demokratischer Widerstand, der sich artikuliert, bleibt eine Fehlanzeige.

  12. Die organisierte lak-bw ist eine gesonderte Ausnahme, weil sich dort die Menschen (in prekären Lebensverhältnissen) zusammengefunden haben, die soziale wie politische Veränderungen zu ihrem Ziel gemacht haben. Einmischung und Selbstmandatierung werden zu neuen Erfahrungen. Sie bleiben aber beschränkt auf eine gewisse Elite unter den Betroffenen, die in gemeinsamen Lernprozessen mit Akteuren aus der Zivilgesellschaft incl. Kirchen, Politik, Verwaltung und

Gewerkschaften erkannt haben, die gesellschaftlichen Systeme zu beeinflussen.

  1. So bleibt die Erkenntnis, den Weg gemeinsam weiter zu gehen; das Bewusstsein, zu ermöglichen, bei Personen wie Institutionen, dass die Wege ganz unterschiedlich sein können und sein werden, dass aber das Ziel klar ist: Menschen die sich aus der Unmündigkeit lösen, die selbst zu handelnden Subjekten werden, die den Wert der Solidarität und der Autonomie kennen und leben.

Roland Saurer

Sprecher der lak-bw

09.01.2020