Athen – Paris – Berlin – Jetzt – Solidarität muss praktisch werden
Wenn es nach der Niederschlagung des griechischen Frühlings noch ein weiteres Signal gebraucht hat, das Referendum zum „Brexit“ hat es geliefert: Das neoliberale Europa beginnt offen zu zerfallen. Dabei erweisen sich die Politik der Austerität gepaart mit dem technokratischen Zynismus der Eliten als bester Brandbeschleuniger für Nationalismus, Sexismus und Rassismus. Rechtspopulisten aller Couleur und aller Länder nutzen diese Chance der sozialen Polarisierung – der Verarmung, der Verunsicherung, der Vereinzelung – und bieten nicht nur billige Lösungen. Sie präsentieren auch angeblich Schuldige und fahren widerwärtige Kampagnen, die von Menschenfeindlichkeit, Rassismus, Lynchmob durchzogen sind. Nachdem die Eliten das Versprechen des sozialen Europas offen gebrochen haben, können die Rechten sich als vermeintlich soziale, aber tatsächlich autoritäre Opposition inszenieren, die nun auch noch sein Freiheitsversprechen kassiert. Gegen die trostlose Gegenwart lassen sie eine noch gewalttätigere Vergangenheit wieder auferstehen. Die Zukunft, die daraus entstehen soll, wollen wir uns lieber nicht vorstellen. Das ist der Punkt, an dem wir jetzt entschieden handeln müssen – und handeln können. Denn hier liegt, trotz allem, auch eine Chance.
Wann, wenn nicht jetzt! Überall in Europa wissen wir in aller Klarheit, dass es etwas anderes, ein Europa von unten, ein grenzenloses Europa, ein Europa der sozialen Rechte, der Kämpfe, der Garantien geben muss. Es ist längst nicht ausgemacht, dass sich die Eliten und der rechte Rand in Zukunft weiter ungestört an die Aufteilung der Welt und die Zerstörung des Wenigen, was an diesem „Europa“ gut war, machen können. Das zeigt sich gerade in Frankreich, in den seit Monaten andauernden Kämpfen gegen die geplante Arbeitsmarktreform. Nach der Erpressung Griechenlands soll hier ein weiteres Exempel statuiert werden – klar, alles auf Empfehlung deutscher Austeritätspolitiker*innen. Durchgesetzt werden soll es wie immer ohne Wenn und Aber. Und die Drohung wird gleich hinterher geschoben, wenn Junker süffisant erklärt, dass die Maßnahmen in Frankreich nur das Minimum des Möglichen seien und dabei auf Griechenland als das Maximum verweist. Die Linie ist klar: Keine Kompromisse, keine sozialen Lösungen, keine Versprechen. Autorität, Ordnung und Unterwerfung. Bis ans Ende aller Tage.
Doch ein breiter sozialer Widerstand hält dagegen. Ein unsichtbares Band zieht sich deswegen inzwischen von Athen nach Paris, denn auch hier sind die Proteste nicht nur Aufbegehren gegen neoliberale Austeritäts- und Arbeitsmarktpolitik sowie die autoritäre Form ihrer Durchsetzung. Nein, es ist auch ein Schrei gegen Ausverkauf und permanente Verunsicherung, gegen Unterwerfung und Züchtigung, gegen die Ausbeutung in ganz Europa und darüber hinaus. Ein Pol grenzübergreifender Solidarität gegen die neoliberale Konkurrenz wie gegen rechte Angsthetze zeigt sich und er wird schon am 28. Juni wieder überall in Frankreich (und an anderen Orten in Europa) auf der Straße sein.
Wir wissen, diese Austeritäts-, Macht- und Angstpolitik hat ein Zentrum. Es liegt nicht weit weg, irgendwo in Brüssel, nein es liegt zentral in Berlin. Und es wird nur zu besiegen sein, wenn es auch hier, im Herzen des Krisenregimes, wahrnehmbaren Protest, Aufschrei und Widerstand gibt.
Das bundesweite Aktionswochenende gegen Rassismus Anfang September in Berlin (mit der zentralen gemeinsamen Demo am 3.9.) ist daher der passende Moment, auf die Straße zu gehen, uns mit vielen anderen gegen Rechts zusammenzutun und gemeinsam aufzustehen: für eine andere Gesellschaft, gegen den Rechtsruck – und das Spardiktat, das diesen Rechtsruck begünstigt. Wir rufen in diesem Sinne dazu auf, das erste Septemberwochenende vor der nächsten Runde der Landtagswahlen zu nutzen und schon am Freitag vor der Demonstration, am 2. September, gemeinsam das Arbeitsministerium in Berlin zu blockieren. Wir wollen es markieren als einen der zentralen Orte ihrer Politik der Prekarität und Verarmung, der Hierarchisierung des Elends und der Grenzen, des Exports der Agenda 2010 und des deutschen Role-Models.
Wir nehmen es öffentlich in die Zange, denn der aktuell geplante Versuch, EU-Migrant*innen von sozialen Rechten auszuschließen, ist nur ein weiteres Beispiel von sozialer Spaltung entlang nationaler Linien. Wir lehnen diese Politik der Verelendung, Ausgrenzung und Grenzziehung ab – und wir werden sie ab jetzt stören und aktiv sein an den Orten, an denen diese Politik geplant und ausgeführt wird: in den Parteizentralen der AfD wie der vermeintlichen Mitte, in den Jobcentern dieser Welt und nicht zuletzt bei den Lobbyverbänden des Kapitals, wie dem BDI/BDA.
Lasst uns schon jetzt die Zeit bis zum ersten Septemberwochenende in Berlin nutzen, um dazwischen zu gehen: in die Verhältnisse in Deutschland und in Europa, die in Bewegung geraten sind. Denn wann, wenn nicht jetzt; wer, wenn nicht wir können der rassistischen Spaltung von „Innen und Außen“, den sozialen Konflikt von Oben und Unten entgegensetzen. Lasst uns daher bis Anfang September, wenn wir uns alle auf den Straßen der Hauptstadt treffen, überall deutlich machen, was wir von den Akteuren und Profiteuren der Spaltung und Abschottung, der europäischen Austeritätspolitik und des deutschen Role-Models halten. Damit können wir die Bänder verknüpfen und die Schlinge um die Architekten der Spaltung und ihre Profiteure enger ziehen.
Seien wir ungehorsam. Seien wir kreativ. Seien wir mutig. Es ist an uns! Zeigen wir – gerne mit euren Bilder und Berichten von Go- Ins, Veranstaltungen, Kundgebungen, kreativen und direkten Aktionen – dass wir die Zeichen der Zeit verstanden haben!
Blockupy Ko-Kreis, 27. Juni 2016