Beitrag der Landesarmutskonferenz Baden-Württemberg zum
Armuts- und Reichtumsbericht von Baden-Württemberg
Auszug aus ARB ab S. 797 ff
Die LAK-BW ist nach ihrer Gründung im März 2012 mit großem Optimismus in den Armutsbericht BW 2012 – 2015 eingestiegen. Im Beirat zu sein war das eine, den Armutsbericht bei nahezu allen Treffen des Arbeitskomitees der LAK-BW und bei einigen Veranstaltungen gesondert im Blick zu haben, das andere.
Angesichts der dramatischen Armutslage in Europa – 24,5 % der Bevölkerung in der EU leben in Armutsverhältnissen und in Deutschland sind 20,3 % der Bevölkerung von Armutslagen betroffen – ist erfreulich, dass wir in Baden-Württemberg offensiv den Weg zu einer Armuts- und Reichtumsberichterstattung eingeschlagen haben. Damit steigt das gesellschaftliche Interesse an der Entwicklung des Sozialen im eigenen Bundesland.
In Frankreich zum Beispiel stiegen die Obdachlosenzahlen binnen 2001 bis 2011 um das Doppelte auf 130000 Personen, derzeit gelten 3,6 Millionen Menschen in Frankreich als in prekären Verhältnissen lebend. Es wächst zudem die Zahl der armen Arbeiter, die sich trotz Einkommen keine Wohnung leisten können. 25 % der Obdachlosen insgesamt gehen einer Arbeit nach, verdienen wenig, arbeiten in Randzonen des Arbeitsmarktes, unterbezahlt, deutlich unter dem nationalen Mindestlohn. 40 % der Obdachlosen insgesamt suchen einen Job, sie scheitern jedoch häufig an Fahrtkosten, Kleidung, fehlender Wohnung. Ein Drittel dieser Obdachlosen nennt gesundheitliche Probleme, mangelnde Sprachkenntnisse oder Probleme beim Lesen und Schreiben als Handicaps. Und noch eine wichtige Zahl: 29 % der Arbeitslosen in Europa erhalten keine Transferleistungen. (Französisches Statistikamt, im Südkurier vom 30. April 2014 „Frankreichs arme Arbeiter“)
Deutlich ist in der Dauer der Erarbeitung dieses Armutsbericht geworden, dass es keine präzisen Zahlen zur Extremen Armut und Sozialen Exklusion – vergleichbar den französischen Daten – im Bundesland Baden-Württemberg gibt. In den vier nationalen Armutsberichten (2001 – 2013) finden sich nur im 2. Bericht von 2005 Ansätze einer Erhebung und Messung von Zahlen zur Lebenslage Extreme Armut.
Laut Bericht der Badischen Zeitung Freiburg vom 16. Dezember 2014 ist von einer Zunahme der Obdachlosenzahlen in Baden-Württemberg sowie von einer Zunahme der Extremen Armut auszugehen. Ebenso von einer Verknappung des bezahlbaren Wohnungsbestands. Die Statistik der Wohnungssuchenden in Freiburg geht aktuell von 1431 Personen aus, in Lörrach stehen 2500 Personen auf der Warteliste. 120 Personen kommen täglich zum Frühstück in die Pflasterstube der Caritas Freiburg. Die Mindestwartezeit auf eine sozial geförderte Wohnung für obdachlose Bewohner der Stadt dauert in Rottweil momentan 6 Monate, obwohl dort angeblich keine Wohnungsnot herrscht.
In Stuttgart stehen rund 12000 Wohnungen leer, sie können von niemandem bezahlt werden, der über ein geringes Einkommen oder soziale Transferleistungen verfügt. Dem gegenüber liegt die Zahl der dringend Wohnungssuchenden in Stuttgart bei 3500 Personen.
Insgesamt sind Lebenslagen wie Wohnen, Einkommen, Gesundheit, Bildung, Kultur Arbeit in ihren prekären Auswirkungen 2015 deutlicher geworden als dies noch 2012 der Fall war. Dies betrifft ebenso die gesellschaftliche Spaltung und den Zerfall der Gesellschaft in Zonen des extremen Reichtums und Zonen der Verwundbarkeit bzw. extremen Armut.
Neue Themen bzw. Herausforderungen in 2014/15 und in den kommenden Jahren sind gesellschaftliche Spaltungen in Europa, Erwerbslosigkeit, Flucht, Asyl, Migration, Bildung, Inklusion, Befähigung und Capabilities, Mobilität und Teilhabe, politische Partizipation sowie die lebhafte Fortsetzung der neoliberalen Gesellschaftspolitik (TTIP, CETA,…)
Krisen, Kriege, Terror, Hunger und Gewalt bilden ein globales dauerhaftes Szenario.
Wir kommen auf unsere Stellungnahme vom 30. Juni 2012 für den Armutsbericht zurück. Wir hatten damals gefordert zu klären bzw. zu erörtern:
• Differenzierter Armutsbegriff
• Fakten zur Ungleichheit, Disparität von Reichtum und Armut
• Ausweitung der Armutsdebatte auf Exklusion und Prekarisierung
• Kritik der Agenda 2010
• Migration, Flucht, Asyl
• Armutskreisläufe
• Kulturelle Teilhabe und politische Partizipation
• Sozialkulturelles Existenzminimum (Umsetzung BVG Urteil von 2010)
• Lebenslage von Sondergruppen (Sucht, Wohnungslose, Drogenabhängige, Aids, Deklassierte)