Von der Idee zur Wirklichkeit: die Landesarmutskonferenz Baden-Württemberg LAK-BW hat seit 2012 ein Stück die Sozialpolitik in Baden-Württemberg verändert
Eines Tages hatten wir die Idee, eine LAK zu gründen. Diese Idee ist entstanden durch die Aktivitäten verschiedener Betroffeneninitiativen wohnungsloser Menschen, zumindest in den Städten Offenburg, Lahr, Freiburg, Lörrach, Konstanz und Rottweil. Die Aktivitäten dieser Betroffeneninitiativen wohnungsloser Menschen hatten einen jährlichen Höhepunkt, das war das sog. „Berbertreffen in Offenburg“, das zwischen 1997 und 2012 insgesamt 14 mal stattfand und in der Regel 200 – 300 verschiedene Personen an 2-3 Tagen zusammenbrachte.
Die Themen reichten vom Leben & Tagessatz auf der Strasse, sozialstaatlichen Demontagen bis zu den Auswirkungen der Globalisierung für die Obdachlosen auf den Strassen Europas. Immer wieder war die Methode des Widerspruchs und Widerstand unser strategisches Konzept.
1998 fand ein 10tägiger Protestmarsch nach Stuttgart statt, wo es inhaltlich um die Vertreibung von Obdachlosen aus den Städten ging. „Die Stadt gehört allen“, war das Kampagnenthema. Ebenso haben wir in 2010 in Baden-Württemberg eine Armutskarawane durchgeführt, die ebenfalls 10 Tage zwischen 10 verschiedenen Städten lief, so auch in Basel, Strasbourg wie in Mulhouse. Das Europäische Jahr gegen Armut und Ausgrenzung in 2010 war der Anlass für über 100 Menschen sich auf den Weg zu machen.
Zahlreiche Formen von Zusammenarbeit gab es mit kirchlichen und gewerkschaftlichen Netzwerken, breitere soziale Bündnisse entstanden vor Ort, die relativ systematisch die lokalen Verhältnisse hinsichtlich ihrer sozialen Auswirkungen im Fokus hatten.
Diese örtlichen Betroffeneninitiativen hatten einen gemeinsames Projekt, das war die „Landesarbeitsgemeinschaft von Betroffeneninitiativen wohnungsloser Menschen in Baden-Württemberg, LAG e.V“, die 1999 nach dem Marsch auf Stuttgart gegründet wurde. Diese LAG stand wiederum in Kontakt mit der 1994 gegründeten „Bundesbetroffeneninitiative wohnungsloser Menschen BBI e. V“. In deren Vorständen und Aktivitäten der BBI wirken durchgehend auch wohnungslose Menschen und soziale Akteure aus dem Südwesten über Jahre bis zum heutigen Tag mit.
Durch die lokalen BI´s, die LAG, die BBI und die zwischen 1995 und 2010 gemachten Erfahrungen des Empowerments, die Wirkungsgeschichte von sozialen Aktionen in den vielfältigen sozialen Netzwerken in BaWü, aber auch darüber hinaus durch die Bundesebene wie auch die europäische Ebene (NAK, Feantsa, EAPN) war unser Ziel: die Gründung einer Landesarmutskonferenz Baden-Württemberg.
Am 10.März 2012 war es dann so weit. Im Alevitischen Kulturzentrum Offenburg wurde die LAK-BW von rund 120 unterschiedlichen Personen von unten gegründet. Von Leuten aus Kirchen, Gewerkschaften, Erwerbsloseninitiativen, Migrationsvereinen, Aktivisten gegen Abschiebungen von Flüchtlingen, wohnungslosen Menschen sowie von solidarischen Professionellen aus der Sozialen Arbeit, sowie den Organisationen LAG und BBI. Das ist und bleibt wohl einmalig in Deutschland. Damit hatte Baden-Württemberg seine Landesarmutskonferenz.
Kurz nach der Gründung von unten entwickelte sich unter Hilfe des Landes DGB ein gemeinsamer Verhandlungsmarathon mit den Wohlfahrtsverbänden und dem DGB Baden-Württemberg, der mit einer Kooperationsvereinbarung im November 2013 endete. Seit diesem Zeitpunkt ist die LAK-BW eine Landesarmutskonferenz mit 2 Netzwerken. Das Netzwerk 1 bilden die Basisorganisationen, das Netzwerk 2 die Liga der Wohlfahrtsverbände in Baden-Württemberg und der Landes -DGB.
Dieser Zusammenschluss wird durch 12 Delegierte, jeweils 6 aus beiden Netzwerken, vertreten. Wir konnten eine gemeinsame Charta formulieren, die seit Juni 2015 beschlossen und veröffentlicht ist. Beiden Netzwerken steht jeweils ein Sprecher oder Sprecherin vor.
Beide Netzwerke sind inhaltlich voneinander unabhängig, sie können sich frei äussern und sind nicht auf Abstimmungen untereinander angewiesen. In der LAK-BW, nw 1 besteht ein Arbeitskomitee das sich alle 4-6 Wochen trifft. Dort werden von 12-18 aktiven Personen die Projekte, die Aktionen, die Konzepte reflektiert und beraten, dort wird entschieden wo und wie es weitergehen soll.
Wir haben eine ganze Menge von Netzwerken und Verbindungen in Baden-Württemberg entwickelt. Die Mitarbeit und Mitgliedschaft im Präventionsrat Baden-Württemberg zur Armutsbekämpfung ist seit 2012 der Fall. Wir sind am Ersten Armutsbericht Baden-Württemberg direkt beteiligt. Er wird noch in diesem Herbst 2015 erscheinen. Aktive Kontakte bestehen zu allen politischen Parteien des Landtages, zu Sozial- und Wirtschaftsministerium, zur Forschungsabteilung des Statistischen Landesamtes.
Wir erhalten seit 2013 eine Landesförderung von Euro 9000.- im Jahr, aus den Mitteln der Armutsberichterstattung. Und weitere Euro 2.000.- seitens der Wohlfahrtsverbände. Durch DGB und weitere Organisationen können wird Räume nutzen, manchmal werden auch Cateringkosten übernommen.
Schwerpunkte im Jahr sind die Aktionswoche Baden-Württemberg „Armut bedroht alle!“, der Sozialpolitische Ratschlag, die Vertretung der LAK-BW in der NAK, die AG der Landes-armutskonferenzen in Deutschland, die Netzwerke zu Sozialwissenschaften und Hochschulen, der Weltarmutstag, die aktive Mitarbeit in Menschenrechtsgruppen. Projekte wie das jährlicheTreffen von Menschen mit Armutserfahrungen oder der Workshop beim BMAS für den 5. Armutsbericht der Bundesregierung werden von uns selbstverständlich wahrgenommen. Was wir noch ausbauen wollen sind die Kontakte zu Sozialen Bewegungen von unten, z. B. dem Armutsnetzwerk, dem Aktionsbündnis Sozialproteste, Kein Mensch ist illegal, etc.
Nach Jahren des Stillstandes haben wir am 24.10.2015 die Wahl eines neuen Vorstand der LAG obdachloser Menschen e.V. massiv unterstützt, sodass die Lobbyarbeit für wohnungslose Menschen weitergeht.
Die LAK-BW hat die sozialpolitische Landschaft in Baden-Württemberg begonnen zu verändern. Die Arbeit wird ehrenamtlich geleistet, sie hat dadurch die Freiheit, sich sozialpolitisch zu äussern. In den Netzwerken bestehen auch Kontakte zu den Armutskonferenzen in Österreich und Vorarlberg, zu Hochschulen in der Schweiz, Zürich und Basel, und zu zivilgesellschaftlich Aktiven und Gewerkschaftern ins französische Elsass.
gez. Roland Saurer
Sprecher der LAK-BW, nw 1